April 23, 2021 | Köln, Deutschland

Der Entwurf des Verbandssanktionengesetzes – was kommt auf Unternehmen zu?

Dr. Emanuel H. F. Ballo und Dr. Christian Schoop (beide Rechtsanwälte und Partner bei DLA Piper UK LLP)

Lange schien es nur noch eine Frage der Zeit, wann das „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ in dieser Legislaturperiode verkündet würde. Das Gesetzgebungsverfahren ist in den letzten Wochen jedoch ins Stocken geraten. Der am 21. Oktober 2020 in den Bundestag eingebrachte Entwurf des Verbandssanktionengesetzes („VerSanG“) befindet sich nach wie vor im Gesetzgebungsprozess. Vor dem Hintergrund der klaren Regelung im Koalitionsvertrag gehen die meisten Beobachter davon aus, dass sich die Koalitionsparteien zeitnah einigen werden und das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet wird.

Sollte das Gesetz verkündet werden, würde es sich zweifelsohne um die bedeutendste gesetzliche Entwicklung im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts und der Compliance der letzten Jahrzehnte handeln. Das Gesetz – von vielen zu Recht als „Unternehmensstrafrecht“ bezeichnet – wird sich auch auf nahezu sämtliche Unternehmen erheblich auswirken.

1. Kurzüberblick zu den wesentlichen Neuerungen nach dem VerSanG

Im Zentrum des Gesetzes steht die sogenannte Verbandstat, an die in Zukunft verschiedene Sanktionen gegen Unternehmen geknüpft werden können. Als Verbandstat wird eine Straftat bezeichnet,
durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E). Eine Verbandssanktion kann nach dem
VerSanG verhängt werden, wenn die Verbandstat entweder (i) durch eine Leitungsperson des Verbandes oder (ii) durch sonstige Personen begangen wird, die in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes handeln und die Leitungspersonen die Straftat durch angemessene Vorkehrungen hätten erschweren oder verhindern können.

Das Gesetz sieht eine Abkehr vom geltenden Opportunitätsprinzip und die Einführung des Legalitätsprinzips vor. In Zukunft ist es für die Staatsanwaltschaften daher zwingend, im Fall eines Anfangsverdachts einer Verbandstat ein Ermittlungsverfahren gegen das Anstellungsunternehmen einzuleiten – die Entscheidung liegt nicht mehr im Ermessen der Ermittlungsbehörde. Ausgenommen hiervon sind lediglich Straftaten, bei denen ausschließlich das Unternehmen geschädigt wurde. Das VerSanG sieht in den §§ 35 ff. VerSanG-E jedoch verschiedene Möglichkeiten vor, das Verfahren einzustellen. Diese ähneln den Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. der Strafprozessordnung („StPO“). Das Verfahren kann danach im Einzelfall wegen Geringfügigkeit, unter Auflagen und Weisungen, bei schweren Folgen für den Verband oder bei Insolvenz eingestellt werden.

Darüber hinaus weitet das Gesetz den Anwendungsbereich auf Auslandstaten aus, sofern die Tat nach deutschem Recht eine Straftat wäre, die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Zudem muss der Verband zur Tatzeit einen Sitz im Inland haben. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die Einführung des Legalitätsprinzips, wird es für Ermittlungsbehörden in Zukunft zwingend sein, ein Ermittlungsverfahren auch bei reinen Auslandstaten einzuleiten.

Das VerSanG sieht im Fall einer Verbandstat signifikant verschärfte Sanktionsmöglichkeiten vor. Unternehmen mit mehr als 100 Mio. EUR Konzern-Jahresumsatz können mit einer sogenannten Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 % ihres jährlichen Gruppenumsatzes sanktioniert werden (§§ 8 ff. VerSanG-E). Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt als alternative Verfahrensbeendigung möglich. Insbesondere kann das Gericht die Stärkung der internen Compliance-Maßnahmen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten anweisen und zur Überwachung eine „sachkundige Stelle“ als Pendant zum Compliance-Monitor nach US-amerikanischen Recht einsetzen.

Nach der Kritik des Bundesrats ist unklar, ob weiterhin an der Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe im Fall der Verurteilung des Verbandes und einer großen Zahl von Geschädigten festgehalten wird
(§ 14 VerSanG-E).

Ferner gewinnen Compliance-Maßnahmen und interne Untersuchungen durch das VerSanG noch einmal ganz erheblich an Bedeutung. Auf diese beiden Themenkomplexe und mögliche praktische Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis soll im Folgenden eingegangen werden.

2. Die Bedeutung eines Compliance Management Systems nach dem VerSanG

Compliance Management Systeme sind bereits heute in großen und mittelständischen Unternehmen nicht mehr hinwegzudenken. Ihre Bedeutung wird weiter zunehmen, wenn das VerSanG verabschiedet wird. Nach dem Gesetzesentwurf soll sich die Implementierung eines effizienten Compliance Management Systems auf verschiedenen Ebenen auswirken – und zwar sowohl auf die Auswahl der Sanktionsart als auch auf die Sanktionszumessung.

So kann eine Verbandstat im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E bereits ausscheiden, wenn das Unternehmen ein angemessenes Compliance Management System implementiert hatte und demnach
die Verbandstat des Mitarbeiters insoweit auch durch angemessene Compliance-Maßnahmen nicht hätten verhindert werden können. Darüber hinaus können entsprechende Compliance-Maßnahmen
als Begründung dafür herangezogen werden, dass die Behörden wegen Geringfügigkeit von der Verfolgung absehen sollten (vgl. § 35 Abs. 1 VerSanG-E). Schließlich kann ein effizientes Compliance Management System sowohl bei der Auswahl der Sanktion nach § 10 VerSanG-E als auch bei der Verbandssanktionsbemessung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 6 und 7 VerSanG-E berücksichtigt werden.

Das VerSanG verhält sich allerdings nicht dazu, wie ein angemessenes Compliance Management System auszusehen hat oder was „gute Compliance“ tatsächlich ausmacht. Insoweit gelten unverändert die sich vorwiegend in der Literatur herausgebildeten und inzwischen gefestigten Kernelemente und Grundsätze eines Compliance Management Systems. Wesentlicher Bestandteil bei der Implementierung, Überprüfung und Überarbeitung des Compliance Management Systems wird daher auch in Zukunft zunächst die unternehmensinterne Risikoanalyse sein. Auf Grundlage solcher regelmäßiger Analyse hat das Unternehmen die relevanten Risiken zu identifizieren, um daraus die erforderlichen und risikoangemessenen Compliance-Maßnahmen abzuleiten.

Unternehmen und ihre Leitungsorgane sollten das VerSanG daher zum Anlass nehmen, ihr Compliance Management System zu überprüfen. Das gilt umso mehr, weil das Gesetz – nach derzeitiger Planung – erst zwei Jahre nach seiner Verabschiedung in Kraft treten soll. Der Gesetzgeber gibt den Unternehmen insoweit den ausdrücklichen Auftrag, spätestens in dieser Zeit ein effizientes Compliance Management System zu implementieren bzw. ihre Systeme zu überprüfen und anzupassen.

3. Die Bedeutung von internen Untersuchung nach dem VerSanG

Interne Untersuchungen zur Aufklärung von möglichen Unregelmäßigkeiten und Compliance-Verstößen sind bei Unternehmen bereits heute an der Tagesordnung. Sie sind bislang jedoch gesetzlich nicht geregelt. Das würde sich durch das VerSanG ändern. Interne Untersuchungen und die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden wirken sich nach dem VerSanG positiv auf die Sanktionsbemessung aus. Sieht das Gericht auf dieser Grundlage eine Milderung vor, ist das in § 9 Abs. 1 bis 3 VerSanG-E vorgesehene Höchstmaß um die Hälfte zu reduzieren und das vorgesehene Mindeststrafmaß entfällt. Weiterhin entfällt in einem solchen Fall gemäß § 18 S. 2 VerSanG-E die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung. Entscheidend ist dabei, dass es sich bei der Sanktionsmilderung infolge der internen Untersuchung und Kooperation mit der Staatsanwaltschaft nach künftigem Recht um ein gebundenes Ermessen des Gerichts handelt, während die Ermittlungsbehörden bislang einen weiten Ermessensspielraum hatten.

Eine Sanktionsmilderung kommt gemäß § 17 Abs. 1 VerSanG-E nur in Betracht, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Das Unternehmen muss einen wesentlichen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung leisten, d.h. eine Sanktionsmilderung ist ausgeschlossen, wenn die Ermittlungsbehörden den Sachverhalt bereits selbstständig aufgeklärt haben. Des Weiteren ist eine ununterbrochene und uneingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Das Unternehmen muss darüber hinaus gewährleisten, dass zwischen der internen Untersuchung und der Unternehmensverteidigung strikt getrennt wird. Der Untersuchungsführer und der Unternehmensverteidiger dürfen zwar derselben Kanzlei angehören, es muss aber sichergestellt werden, dass es zu keinem Informationsaustauch kommt und folglich Interessenkonflikte vermieden werden (etwa durch sogenannte Chinese-Walls). Schließlich müssen sämtliche Ergebnisse der internen Untersuchung und die darauf beruhenden Dokumente den Behörden offengelegt werden. Während der internen Untersuchungen müssen außerdem die Grundsätze eines fairen Verfahrens nach der StPO gewahrt werden. Dazu zählt zum Beispiel, dass die Mitarbeiter bei Befragungen durch die Unternehmensanwälte vorab hinreichend über mögliche Verwendungen von Auskünften im Strafverfahren, ihr Recht auf Hinzuziehung eines anwaltlichen Beistands oder eines Mitglied des Betriebsrats und ihr Recht auf Aussageverweigerung nach § 52 Abs. 1 StPO belehrt werden.

Sind nicht sämtliche Voraussetzungen erfüllt, ist allenfalls eine fakultative Sanktionsmilderung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E möglich.

4. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in der Unternehmenspraxis Compliance Management Systeme und interne Untersuchungen ebenso wie die Unternehmensverteidigung zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen werden. Unternehmen sind daher gut beraten, sich frühzeitig mit dem Gesetzesentwurf zu befassen und zu prüfen, ob unternehmensintern Bedarf besteht, Anpassungen vorzunehmen. Dazu zählt eine Bestandaufnahme des bereits implementierten Compliance Management Systems sowie eine Implementierung und Überprüfung der Prozesse für die Durchführung von internen Untersuchungen, um im Ernstfall unverzüglich handeln zu können.

Dr. Emanuel H. F. Ballo
Rechtsanwalt | Partner
emanuel.ballo@dlapiper.com

Dr. Christian Schoop
Rechtsanwalt | Partner
christian.schoop@dlapiper.com

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