Mix & Match im OP
Dr. Tobias Weimer, M.A., Fachanwalt für Medizinrecht, WEIMER I BORK, Kanzlei für Medizin- und Arbeitsstrafrecht
In der Praxis ist weitgehend „Mix & Match“ gängiger Implantate verschiedener Hersteller verbreitet; sei es für die Knie-, Hüfte- oder auch Schulterprothesen. Ausgangspunkt der ärztlichen, operativen Überlegung ist dabei regelhaft, dem Patienten eine umfangreiche, aus ärztlicher Sicht unnötige Operation zu ersparen und stattdessen dem Patienten einen kleineren und weniger belastenden Eingriff zu ermöglichen. Die medizinische Thematik lautet dabei wie folgt: Es gibt in der Endoprothetik aller Gelenke Lockerungserscheinungen. Oft ist nur einer der beiden Implantatpartner („Schaft oder Pfanne“) gelockert. In diesen Fällen steht ein Komplettwechsel der Prothese im Raum. Dieser bringt aber ein für die Patienten oft erhebliches Zusatzrisiko mit sich. Einerseits wird der Operationsumfang deutlich ausgedehnt mit längerer Operationszeit und ggf. der Notwendigkeit zu Bluttransfusionen, was zum Beispiel in der Schulterendoprothetik sonst eher nicht notwendig ist. Andererseits gibt es gerade beim Schaftwechsel ein nicht unerhebliches Komplikationspotential mit Frakturen des Oberarmknochens. Zudem gesellt sich durch die Ausweitung des Eingriffs ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko. Kommt es im Laufe der Operation tatsächlich zu Komplikationen, steht schnell aus Sicht des Patienten der Vorwurf ärztlichen Fehlverhaltens im Raum. Dabei ist die Einordnung der ärztlicherseits hergestellten „Sonderanfertigung“ oder „Eigenherstellung“ als behandlungsfehlerhaft durchaus umstritten.
Das Kammergericht Berlin (vgl. dazu Weimer, Hedtmann, Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2016; 10(01): 67-77) wies die Patientenklage gegen einen Operateur in einem derartigen Fall ab, da der Arzt nicht zum Hersteller im Sinne des Produkthaftungsgesetzes würde. Es obläge seinem Therapieregime im Rahmen ärztlicher Therapiehoheit. Das OLG Koblenz (Beschl. v. 26.03.2013 – 5 U 1474/12, Rn. 21) stellte demgegenüber fest, dass der Vorgang, bei dem aus zwei Einzelteilen ein funktionstaugliches Ersatzstück geschaffen wird, § 4 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG unterfällt. Ein tatbestandlich relevantes Herstellungsgeschehen ließe sich allenfalls dann verneinen, wenn die zusammengefügten Teilstücke von ein und demselben Produzenten bezogen und dann nach dessen vorgezeichneter Anleitung miteinander kombiniert worden wären. Die so genannte Eigenherstellung von Medizinprodukten unterfiel bisher § 12 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 3 Nr. 21 MPG und wurde vom EuGH bereits als Herstellungsprozess im Sinne des ProdHaftG qualifiziert (EuGH, Urteil v. 10.05.2001 – C 203/99, MPJ 2005,146; vgl. dazu bei Weimer/Jäkel, Ratgeber Medizinprodukterecht, 2012, Rdn. 118).
Je nachdem ob eine Eigenherstellung vorliegt oder eine Sonderanfertigung, muss die Klinik bzw. der Operateur als Hersteller bestimmte regulatorische Anforderungen beachten, die sich nunmehr nach Art. 5 Abs. 5 MDR oder für Sonderanfertigung nach § 9 MPDG richten. Für Eigenherstellungen, die von ausschließlich in der Union ansässigen Gesundheitseinrichtungen, innerhalb der Einrichtung hergestellt und verwendet werden gelten die Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I der MDR. Danach ist ein geeignetes Qualitätssicherungssystem (QSS), eine Dokumentation des QSS, Angaben zu Auslegung, Herstellung und Leistungsdaten, Vorlagepflicht auf Anfrage der Aufsichtsbehörde vorzuhalten. Eine allgemeine Konformitätserklärung im Sinne von Art. 19 MDR ist zwar nicht erforderlich, aber eine Erklärung, dass das Produkt allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhangs I der MDR entspricht; Die Erklärung muss Namen und die Anschrift der Gesundheitseinrichtung, die die Produkte herstellt und die zur Identifizierung der Produkte erforderlichen Angaben enthalten. Zudem muss Erklärung öffentlich zugänglich sein. Darüber hinaus dürfen die Produkte nicht an eine andere rechtlich eigenständige Einrichtung abgegeben werden; es besteht eine Begutachtungspflicht der Erfahrungen, die aus der klinischen Verwendung der Produkte gewonnen wurden sowie die Pflicht, ggfs. alle erforderlichen Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Des Weiteren muss die Gesundheitseinrichtung in ihrer Dokumentation eine Begründung dafür liefern, dass die spezifischen Erfordernisse der Patientenzielgruppe nicht bzw. nicht auf dem angezeigten Leistungsniveau durch ein auf dem Markt befindliches gleichartiges Produkt befriedigt werden können. Eine derartige Äquivalenzbetrachtung wird die Eigenherstellung erheblich erschweren.
Handelt es sich dagegen um eine Sonderanfertigung im Sinne eines angepassten Produktes nach § 9 MPDG so gilt: Jeder Operateur bzw. Klinik, die ein serienmäßig hergestelltes Produkt an die in einer schriftlichen Verordnung festgelegten spezifischen Charakteristika und Bedürfnisse eines individuellen Patienten anpasst, haben eine Dokumentation vorzuhalten, die folgendes enthält: Die schriftliche Verordnung der Anpassung selbst, die Anpassungsdaten, soweit diese nicht bereits Bestandteil der schriftlichen Verordnung sind; die Angaben, die erforderlich sind, um den Patienten sowie das angepasste Produkt zu identifizieren; weiter die Erklärung, dass das Produkt nach dem aktuellen Stand der Technik angepasst wurde. Dem Patienten ist eine weitgehend diesen Inhalten entsprechende Erklärung auszuhändigen. Die Dokumentation ist zehn Jahre aufzubewahren. Auf Verlangen ist die Dokumentation der zuständigen Behörde vorzulegen, wobei sich die Einrichtung, die derartige implantierbare Sonderanfertigung der Klasse III herstellt, über das Deutsche Medizinprodukteinformations- und Datenbanksystem (DMIDS) anzeigen muss (§ 4 Abs. 2 MPDG).
Dr. Tobias Weimer, M.A.
Fachanwalt für Medizinrecht
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